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Mail Rail / Postal Museum

Alles entwickelt sich, zuweilen auch an mir vorbei. Das Mail Rail Experience in London ist so ein Fall. Man denkt, man hat schon alles gesehen, doch manch Interessantes entwickelt sich einfach im Stillen. Ich bin glaube ich, in London mit jeder Under-/Overground Linie gefahren, jede Nahverkehrslinie begutachtet, bin Straßenbahn gefahren und habe alle großen und die interessantesten Bahnhöfen inspiziert. Aber in all den Jahren, bin ich nicht darauf gekommen, nach neuen Museen zu suchen. Schon gar nicht nach einem Post Museum! Die Mail Rail, richtiger Weise, London Post Office Railway, ist Teil dieses Museums. Es wurde erst Ende Juli 2017 eröffnet und findet sich gegenüber des Mount Pleasant Post Office. In den Londoner Teil des Museums wurden 26 Millionen Pfund investiert. Es besteht an diesem Standort aus zwei Bereichen, der Mail Rail und dem eigentlichen Museum. Dessen Angebot gehört jedoch in die Kategorie ‚klein aber fein‘. Das eigentliche Highlight bleibt die Mail Rail.

Für London etwas ungewöhnlich ist die Weg zum Museum. Es findet sich kein Bahnhof des SPNV in der Nähe. Auch mit den Buslinien, die normalerweise ein recht dicht gewebtes Netz in dieser Stadt bieten, ist nichts in unmittelbarer Nähe zu finden. Aber, es gibt immer ein aber, das ist nicht schlimm, bietet doch der Fußweg einige interessante Punkte, die es zu besichtigen gilt. Als Startpunkte bieten sich die Station Kings Cross/St.Pancras (15min/0,7mi/1,12km) und die Station Farringdon (12min/0,6mi/0,9km) an. Mein Vorschlag wäre am Bahnhof Farringdon zu beginnen. Schon auf dem Bahnsteig kann man weit in die Geschichte zurückblicken. Genau genommen finden sich sogar zwei Bahnhöfe unter einem Dach.

Der Teil der U-Bahn, der heute von drei Linien bedient wird, wurde im 1863 durch die Metropolitan Railway eröffnet. Hier war die Endstation der ersten U-Bahn der Welt. Drei Jahre später erfolgte die Erweiterung bis Moorgate. Der östliche Teil des Bahnhofs wird heute durch die Thamslink-Züge genutzt, die hier den Stromsystemwechsel von Oberleitung (Wechselstrom) auf Stromschiene (Gleichstrom) durchführen. Im Jahr 1866 ging dieser Bereich mit einem parallel zur Metropolitan Linie verlaufenden Streckenabschnitt Richtung Moorgate in Betrieb. Dieser Streckenverlauf ist vom Bahnsteig noch sichtbar, jedoch sind die Tunneleingänge verschlossen, da in dieser Richtung ein neuer Bahnhof an der Cross Rail Strecken gebaut wird. Die Thamslink-Züge verlassen den Bahnhof Richtung Süden durch den ebenfalls 1866 eröffneten Tunnel. Aus dem Zug kann man heute noch große Freiflächen bzw. Abzweigungen im Tunnel erkennen, da sich hier Güterbahnhöfe befanden und der Anschluss an die unterirdischen Entladestellen des Fleisch Großmarktes Smithfield Market erfolgte. Den kann/sollte man, da sehr ansehnlich, besichtigen.

Wer dann noch Muße hat und auf Bausünden der 80iger Jahre steht, der findet ein Stück weiter das Barbican Centre. Hier wurde die Vison einer Stadt in der Stadt nicht nur geplant, sondern auch noch gebaut. Es entstand je nach Sichtweise eine Megastruktur der Modernen oder ein Wohn-/Kulturmoloch. Nun ist es auch nicht mehr weit bis Moorgate.

Moorgate besteht eigentlich aus drei Bahnhöfen in drei Ebenen, wobei jeder von einer anderen Gesellschaft errichtet wurde. Auf Gleis 9, dem Bahnsteig heute betrieben von der Great Northern befindet sich der Ort, an dem sich 1975 das großen Unglück ereignete. Hier eine kleine Anmerkung. Bei Wikipedia nennt sich der Artikel zum Thema „U-Bahn Unfall von Moorgate“. Das ist so nicht richtig. Das Gleis wurde/wird noch heute von der Vorortbahn genutzt. Man könnte es also einen Eisenbahnunfall nennen, oder wie im Englischen „Tube Crash“ also Tunnelunfall…

Ob und wie weit die Bahnhöfe Barbican und Moorgate umgestaltet werden und die noch vorhandenen zusätzlichen Gleise mit Eröffnung von Cross Rail abgebaut werden, weiß ich leider nicht. Zumindest werden Farringdon und Barbican bzw. Moorgate und Liverpool Street jeweils über die neuen Bahnsteige verbunden sein. Na wir werden sehen, warten wir es einfach mal ab.

Aber eigentlich wollten wir ja ins Museum. Geschwind geht es nun ab Bahnhof Farringdon in nördlicher Richtung voran. Das (alte) Empfangsgebäude aus dem Jahr 1922 zählt zu den besterhaltenen seiner Art und steht unter Denkmalschutz. Nach hundert Metern, kann der, der groß genug ist, die Konstruktion des Überwerfungsbauwerk begutachten. Diese ‚offene‘ Bauweise wurde auf dieser Strecke gewählt, da in den ersten Jahrzehnten noch mit Dampf gefahren wurde. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns an der ersten ‚Untergrund‘ Bahn Londons befinden. Dann haben wir unser Ziel fast erreicht, Mount Pleasant Post Office. Fast…gilt es doch, noch einmal das, doch recht große, Gelände zu umrunden.

Fakten

  • Strecke: Paddington Sorting Office – Whitechapel Eastern Delivery Office
  • Streckenlänge: 10,5 km
  • Eröffnung: 3. Dezember 1927 (Neueröffnung 2017
  • Schließung: 31. Mai 2003
  • Stromsystem: 440V DC freie Strecke; 125V DC Stationen
  • Stromzuführung: dritte Schiene
  • Öffnungszeiten: Postal Museum / Mail Rail täglich von 10-17 Uhr
    • Mail Rail fährt alle 20min (Tickets vorab mit fester Zeit erhältlich)
  • Adresse: 15-20 Phoenix Place, London WC1X 0DA
  • Website offiziell

Post Office Railway

Schauen wir zuerst in den Nebel der Vergangenheit. Die Post Office Railway, so der offizielle Name bis zur Schließung 2003, wurde im Dezember 1927 in Betrieb genommen. Auf 610 mm Spurweite wurden 10,5 km mit 8 Stationen (2003 nur noch 3) bewältigt. Die Bahn führte Eastern Delivery Office im Osten (Whitechapel) zur Paddington Station im Westen und verband die nördlichen großen Bahnhöfe mit den Sortierbüros der Londoner City. Die Arbeiten am Streckentunnel begannen 1915, waren jedoch zwischen 1917 und 1924 unterbrochen. Der zweigleisige Streckentunnel liegt auf 21 m unter Straßenniveau. Warum man in London dieses, doch recht aufwendige System verwendet hat, entzieht sich meiner Kenntnis. In anderen Städten hat man um Briefe schnell zu befördern, andere Ideen gehabt. So entwickelte Berlin ab 1865 ein Rohrpostnetz, dass in seiner größten Ausdehnung eine Länge von 400 km aufwies. Hier ging es aber eher um Schnelligkeit statt um Masse, wie ich in London vermute, wenn man sich mal einen Film zum Thema ansieht.

Die Stationen

Mail Rail Ride

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So man die Mail Rail nutzen möchte, sollte man sich im Vorfeld Karten buchen, denn auf jeder Fahrt finden nur 22 Leute im Zug Platz. Wenn man ein wenig früher da ist, sollte/könnte man das Postal Museum besuchen (siehe oben) oder dort einen Kaffee genießen! Für das Museum kann man 30 min einplanen, dann ist man aber auch wirklich rum. Dann geht es schräg über die Straße zum eigentlichen Höhepunkt des Besuches, zur Mail Rail. Ob nun Ride oder Experience kann jeder nach der Fahrt für sich entscheiden. Wobei ich Ride auch nicht als Fahrt sondern als Ritt übersetzen möchte. Denn das ist es, ein Ritt. Für die ca. 1 km Rundfahrt wurden extra Züge angefertigt/umgebaut, die man aber nur besteigen sollte, wenn man nicht unter Platzangst leidet. (Hinweise dazu, findet man auch auf der Website) Ich, der ich früher mal 1,90 groß war, ist das schon eine Herausforderung, aber es ist, wie es ist, wenn man was will, geht das schon…! Die Plastikabdeckung, die über dem Kopf geschlossen wird, erweist sich als nicht so richtig kompatibel mit dem Wunsch, zu fotografieren. Man sollte den hintersten Platz wählen, so hat man wenigstens (wenn man es denn schafft, sich zu drehen) auch den rückwärtigen Blick.

Dann rumpelt der Zug auch schon los. Natürlich ist hier kein Komfort zu erwarten, ist es doch eigentlich eine Industriebahn. Die Strecke führt uns durch die verzweigten Verbindungstunnel unter dem Postamt Mount Pleasant. An den ehemaligen Endladestellen halten wir, um jeweils eine, auf die Wand projizierte Multimediashow, zu erleben. Dies ist richtig gut gemacht, wird doch die Geschichte und der Hintergrund des Baues der Bahn visuell erläutert. Nach ca. 15 min endet die Fahrt dann wieder am Ausgangspunkt. Da nicht viel Zeit bis zur nächsten Abfahrt zur Verfügung steht, sind die Mitarbeiter gern behilflich, einen wieder aus dem Waggons zu ziehen (brauchte ich aber nicht in Anspruch nehmen).

Bleibt noch das kleine Museum der Post Office Railway zu bewundern. Hier ist alles zu sehen, was die Museumskuratoren noch gefunden haben, zusammengetragen. Hübsch aufgearbeitet versteht sich. Selbst ein Fahrzeug, das zu Testzwecken für eine Pneumatisch angetriebene Bahn genutzt wurde, ist noch vorhanden. Dann ist man durch, ein Blick zurück erinnert an einen interessanten Vormittag.

Fazit

Zeit für ein Fazit. Auch wenn London voll von Attraktionen ist, sollte man auf einen Besuch der Mail Rail nicht verzichten. Abseits der Touristenströme lernt man die Stadt von einer anderen Seite kennen und verbringt einen schönen Vormittag (oder Nachmittag). Sicherlich ist man nur 2 Stunden beschäftigt, aber den Rest des Tages kann der, der noch nicht genug Schienen hatte im Londoner Transportmuseum verbringen, das sich (naja) in der Nähe befindet (mit dem Bus fahren). Mir hat es auf jeden Fall gefallen.

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